Der Ende 2024 von Dr. Philipp Kenel (Alice-Salomon-Hochschule Berlin), Dr. Jennifer Eschweiler (Bertelsmann Stiftung), Dr. Helga Hackenberg (Stiftung Wirtschaft Verstehen) und Dr. Michael Wihlenda (Hochschule Dresden) veröffentlichte Herausgeberband „Social Entrepreneurship in Deutschland – Handbuch für Wissenschaft und Praxis“ vereint 17 Beiträge verschiedener Wissenschaftler:innen, Organisationen und Disziplinen, die das Phänomen Social Entrepreneurship aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchten. Er verbindet sozialwissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Ansätze und liefert damit eine ganzheitliche Betrachtung der Thematik. Mit einem breiten Themenspektrum – von Zielkonflikten zwischen sozialem und ökonomischem Mehrwert bis hin zu Wirkungsmessung und Finanzierung – bietet er einen umfassenden Leitfaden für alle, die Social Entrepreneurship verstehen und gestalten möchten.
Wird sich auch die neue Bundesregierung der Förderung von Social Entrepreneurship verschreiben? Hierfür plädieren vor dem Hintergrund des Handbuches Dr. Philipp Kenel und Dr. Jennifer Eschweiler in ihrem Blogbeitrag „Social Entrepreneurship: Die Zukunft eines vielversprechenden Ökosystems sichern“ für Fostering Innovation der Bertelsmann Stiftung (hier leicht gekürzt; mit freundlicher Genehmigung der Bertelsmann Stiftung):
In den letzten Jahren hat sich Social Entrepreneurship in Deutschland spürbar weiterentwickelt. Was einst eine kleine Bewegung war, hat zunehmend an Sichtbarkeit und Bedeutung gewonnen – nicht zuletzt durch wachsende Anerkennung seitens der Politik. Am deutlichsten zeigt sich diese in der Ende 2023 gemeinsam vom BMWK und BMBF veröffentlichten Nationalen Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen.
Welche Potenziale bietet Social Entrepreneurship?
Zunächst einmal sollte darauf verwiesen werden, dass heute anerkannte Merkmale des Social Entrepreneurship in Deutschland lange Tradition haben. Genossenschaften, Sozialwirtschaft oder Versicherungen auf Gegenseitigkeit verbinden in Teilen schon seit Jahrhunderten unternehmerische Tätigkeiten mit gemeinwohl- oder gruppenspezifischen sozialen Missionen.
In den letzten Jahrzehnten hat Social Entrepreneurship maßgeblich zur Verbreitung gemeinwohlorientierter Innovationen beigetragen – sei es durch Mikrokredite, Repair Cafés oder Urban Gardening, die Entwicklung von Bildungsangeboten, Arbeitsmarktintegration für benachteiligte Gruppen, die Produktion nachhaltiger Produkte und vieles mehr. Die kommunikative Verbreitung solcher Ideen (scaling out) birgt enormes Potenzial für gesellschaftliche Wirkung. Denn Social Entrepreneurs haben nicht nur das Ziel, einzelne Projekte umzusetzen, sondern ganze Systeme zu verändern.
Die Verbindung von finanziellen und sozial-ökologischen Zielsetzungen macht Social Entrepreneurship jedoch anspruchsvoll. Die inhärenten Spannungsfelder sind herausfordernd, doch sie bieten auch wertvolle Lernmöglichkeiten für andere Akteure.
Eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft erfordert die Fähigkeit, mit diesen Spannungsfeldern produktiv umzugehen – eine Kompetenz, die nicht nur Sozialunternehmen, sondern auch zivilgesellschaftliche Organisationen und Wirtschaftsunternehmen entwickeln müssen.
Spannende Vorreiter sind Social Entrepreneurship Organisations auch in der Entwicklung verschiedener Methoden der Wirkungsmessung. Denn auch für andere Organisationen wird die nicht-finanzielle Berichterstattung zunehmend wichtiger. Social Entrepreneurship setzt also nicht nur eigene Impulse, sondern inspiriert auch andere Sektoren. Auch der hohe Anteil an weiblichen (Mit-)Gründerinnen sollte Vorbild sein.
Hybride Organisationen: Impulse für Sozialsektor, Wirtschaft und die größere Agenda
Social Entrepreneurship ergänzt bestehende Strukturen im Sozialsektor und erweitert den Akteursmix. Einige Wohlfahrtsverbände haben bereits organisationsinterne Innovation Labs eingerichtet und agieren als Social Intrapreneure, indem sie innerhalb etablierter Strukturen innovative Projekte entwickeln. Die Verzahnung von klassischer Sozialarbeit und sozialunternehmerischen Ansätzen bietet großes Potenzial – nicht nur für einzelne Organisationen, sondern für den gesamten Sektor und seine Adressat:innen.
Auch in der Wirtschaft finden soziale Innovationen zunehmend Anklang. Unternehmen integrieren gesellschaftliche Verantwortung in ihre Berichterstattung. Impact Investing ist in VC und Family Office-Kreisen, bei ethischen Banken oder der KfW längst kein Fremdwort mehr und fördert kombiniert mit der Zivilgesellschaft eigenen Ressourcen wie Spenden oder Engagement soziale oder ökologische Innovationen. Das SE Ökosystem bringt auch neue Organisationsmodelle wie das Verantwortungseigentum hervor, in welches bspw. eine der größeren Social Enterprises, die Ecosia GmbH, 2018 sich umwandelte.
Teilweise greifen heute große Unternehmen SE-Ansätze auf. Medienberichte thematisieren beispielsweise Praxisbeispiele deutscher international agierender Unternehmen wie Siemens, BASF oder SAP. Die Deutsche Bahn setzt mit DB Intrapreneurs bereits seit 2017 auf unternehmerisches Denken und Innovationen – seit 2019 auch mit einem gezielten Fokus auf Nachhaltigkeitsthemen.
Es lassen sich viele Ansätze an größere wirtschafts- und gesellschaftspolitische Agenden anknüpfen. Dazu gehören der European Green Deal und die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen ebenso wie lange etablierte sozialökonomische und wohlfahrtsstaatliche Traditionen in Deutschland.
Jetzt dranbleiben – und das Ökosystem kultivieren
Mit der Nationalen Strategie wurden wichtige Förderinstrumente geschaffen, darunter niedrigschwellige Programme wie der DATIpilot. Zudem sind Pilotinvestitionen in einen Impact-Investment-Fonds geplant, der gemeinwohlorientierte Unternehmen mit Mezzanin- und Eigenkapital finanziert. Auch im Bildungsbereich hat Social Entrepreneurship in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, insbesondere an Hochschulen – und es besteht noch großes Potenzial, SE-Ansätze auch in Schulen zu integrieren.
Im neuen Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode heißt es: „Wir fördern soziale Innovationen und nutzen dafür Gelder aus nachrichtenlosen Konten in einem revolvierenden Fonds“. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, doch muss grundsätzlich die Vielfalt sozialer Innovationen berücksichtigt werden. Nicht alle Ansätze sind unmittelbar wirtschaftlich tragfähig, sondern wirken teils langfristig durch systemische Veränderungen oder verbesserte Lebensumstände. Social Entrepreneurship ist kein kurzfristiger Trend, sondern eine nachhaltige Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit.
Es wäre ein herber Verlust, wenn Social Entrepreneurship wieder an den Rand wirtschaftspolitischer Debatten gedrängt würde. Gerade in Zeiten globaler Umbrüche wäre ein Rückschritt fatal – Deutschland braucht Innovationen, die nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Probleme lösen können. Als Querschnittsthema muss Social Entrepreneurship durch alle Ressorts strategisch mitgedacht und gestärkt werden. Es braucht Engagement von allen Seiten, um das Erreichte zu bewahren und weiterzuentwickeln.